Wandmalereien

Lippstadt

Evangelische Marienkirche, Lange Straße 14a


Lippstadt, ev. Marienkirche, Grundriss (durch Anklicken der roten Markierungen werden die Kartierungen geöffnet).


Baukörper
Zweijochige spätromanische Stufenhalle im gebundenen System mit Westturm, Querhaus und Chorflankentürmen. Spätgotischer Hallenumgangschor mit südlicher Kapelle und Sakristei. Der ehemals quadratische Chor mit eingezogener Apsis (halbrund oder polygonal gebrochen) ergraben.

Baudaten
Weihe 1221 oder 1222, weiteres Voranschreiten des Baus nach Westen mit Turmvollendung im 2. Viertel des 13. Jahrhunderts. Chorneubau 1478-1506. Westturmhaube 1684.

Romanische Raumfassung
Von der romanischen Raumfassung haben sich nur noch kleine Reste erhalten, und zwar am Westbogen der ehemaligen Nordturmkapelle und am Ostfenster des südlichen Querhauses. Hier zeigt sich eine üppige Ornamentik, die die Architekturglieder betont und diese aus den nur teilweise bemalten Wandflächen heraushebt. In die Bemalung der Fensterlaibung, die auf einer Kalkschlämme liegt, sind Medaillons mit Fabelwesen und Meerestieren oder auch Tierkreiszeichen einbezogen.
Die spätromanische Raumfassung dürfte wie die figürliche Ausmalung erst längere Zeit nach der Kirchenweihe um die Mitte des 13. Jahrhunderts entstanden sein.
Der heutige Raumeindruck wird maßgeblich von der spätgotischen Raumfassung des Chors und derjenigen des frühen 16. Jahrhunderts im Langhaus bestimmt.

Figürliche romanische Wandmalerei
Westbogen der ehemaligen Nordturmkapelle: Medaillons mit heiligen Märtyrerinnen.
Chorvorjoch, Nordwand: Disputation der hl. Katharina, darunter Arkaden mit Aposteln und Heiligen.
Chorvorjoch, Südwand: Marientod (Entschlafung Marias), darunter Arkaden mit Aposteln und Heiligen.

Werktechnik/Maltechnik
Freskomalerei auf einem fetten, einlagigen, sorgfältig geglätteten Putz. An vielen hervorzuhebenden Stellen, so bei Nimben, Möbeln, Gewändern, Attributen, deuten der Haftvermittlung dienende Hackspuren auf ehemals vorhandene plastische Applikationen hin. Nach den an einigen Stellen vorhandenen Resten handelte es sich modellierte Applikationen aus einem stuckartigen, gipshaltigen Putzmörtel. Die ehemals sicher vorhandene Vergoldung dieser Applikationen konnte nicht nachgewiesen werden.
Die auf den noch feuchten Putz aufgetragene Vorzeichnung ist bei den beiden Bildszenen im Chor und bei den Märtyrerinnen der Nordturmkapelle in Schwarz ausgeführt, bei den Apostel- und Heiligenfiguren der Chorwände dagegen abweichend in Rot. Die Lichthöhungen waren auch hier wieder als mäanderartige Formen, die sogenannten Chrysografien, gestaltet. Für leuchtend rote, heute verbräunte Gewandpartien wurde Zinnober auf einer Untermalung aus Bleiweiß und Mennige verwendet, für blaue Gewandpartien Azurit. Beide Pigmente waren in Secco-Technik vermalt. Konturen waren in Schwarz oder Rot gesetzt. Die Verwendung von Azurit muss man auch für die vermutlich blauen Bildhintergründe annehmen. Winzige Goldreste finden sich bei den Märtyrerinnen am inneren, einfassenden Randstreifen der Medaillons und an den Nimben.

Restaurierungsgeschichte
1863 Freilegung von Marientod und Katharinendisputation, die fast ohne restauratorische Eingriffe bleiben. 1972-75 Freilegung der Apostel und Heiligen in Arkaden unter den beiden Bildszenen auf den Chorwänden und Konservierung aller romanischen Malereien einschließlich der Raumfassungsreste. 2013 im Rahmen der Untersuchung für das Forschungsprojekt kleinere Konservierungsmaßnahmen.
Der spätgotische Choranbau und die damit verbundene Reduzierung des ehemals quadratischen romanischen Chorjochs auf die heutige queroblonge, neu eingewölbte Form brachte den Verlust der oberen und der östlichen Partien der dortigen Wandmalereien mit weiteren zu vermutenden Bildszenen mit sich und führte auch zur Fragmentierung des heute Sichtbaren.
Die beiden Medaillons am Westbogen der Nordturmkapelle unterhalb der abgeschlagenen Kämpfer sind die am besten erhaltenen Reste einer Folge von acht Märtyrerinnen, die am Bogen darüber in schlechterer Erhaltung teilweise noch sichtbar belassen, ansonsten aber wieder überstrichen sind.
Erhalten haben sich vor allem die freskal eingebundenen Malschichten und die Binnenfarben der Figuren, dagegen sind die nach Abtrocknung des Putzes aufgetragenen Seccopartien in Gestalt von Modellierungen, Schatten und Lichtern bis auf einige aussagekräftige Reste verloren.

Beschreibung und Ikonografie
Mit den romanischen Fragmenten auf den Vorchorwänden haben sich wesentliche Teile von szenischen Darstellungen erhalten, die im westfälischen Raum selten sind.
Die Darstellung des Marientodes stellt die Situation der Entschlafung der Gottesmutter und der Aufnahme ihrer gerade aus dem Körper entwichenen Seele durch ihren Sohn, Jesus Christus, im Kreise der Apostel dar. Das Bild widmet sich einer nur in Form von Legenden und nicht in der Bibel überlieferten Episode aus dem Marienleben, die in der abendländischen Kunst von der Himmelfahrt Mariens abgelöst wurde. In der Weise wie Christus die Seele seiner Mutter trägt, deutet sich eine besondere Innigkeit zwischen ihm und seiner jungfräulichen Mutter an, die Vorstellungen der „unio mystica“ von Braut und Bräutigam bei der Himmelskrönung Mariens einschließt.
Die Disputation der hl. Katharina von Alexandrien auf der gegenüberliegenden Wand gibt eine Begebenheit aus der Heiligenvita wieder. Die in der Bildmitte stehende, dem Betrachter frontal zugewandte Katharina diskutiert mit den Philosophen am Hof des Kaisers Maxentius, der rechts im Bild thront. Die Szene verdeutlicht als weitere Illustration eines Seelenzustandes die Standhaftigkeit im Glauben. Die aufrechte Katharina wird in dem Moment gezeigt, in dem es ihr gelingt, die Schar der weisen Männer vom christlichen Glauben zu überzeugen.
Von den 16 in den Arkadenbögen unterhalb der beiden Bildszenen stehenden Gestalten können der kanonischen Zahl wegen nur zwölf als Apostel gedeutet werden. Die übrigen Heiligen bleiben unbenannt.
Bei den Märtyrerinnen der Nordturmkapelle handelt es sich um frontal ausgerichtete Halbfiguren heiliger Jungfrauen, die mangels unverwechselbarer Attribute ebenfalls nicht näher zu identifizieren sind.

Kunsthistorische Einordnung
Es lässt sich festhalten, dass die beiden szenischen Darstellungen auf den Vorchorwänden und die Darstellungen der Märtyrerinnen in Medaillons zusammengehören. Sie sind sowohl in der Figurenauffassung, der Physiognomie der Figuren, der Gewandbildung und der Maltechnik einheitlich. Die Untersuchung der Ornamentik im Südquerhaus, dem Nordquerhaus am Durchgang zur ehemaligen Nordkapelle und den Vorchorwänden erbrachte gleichfalls eine motivische wie qualitative und stilistische Zusammengehörigkeit der Fragmente.
Die schlecht erhaltenen Apostelfriese unter den szenischen Darstellungen fallen dagegen mit Details wie den großen Köpfen mit den engstehenden Augen auf der Nordseite und den ungelenken Füßen auf der Südseite stark in der Qualität ab. Dies lässt auf eine andere Malerhand schließen. Die Ausführung der szenischen Darstellungen oblag dabei dem versierteren Maler, während die Apostelfriese von einer ungeübteren oder unbegabteren Hand geschaffen wurden. Die Maltechnik mit der Malerei auf frischem Putzgrund belegt aber zweifelsfrei eine gleichzeitige Entstehung von Bildfeldern und Apostelfriesen.
Die größten Übereinstimmungen der figürlichen Malereien im fortentwickelten Zackenstil bestehen mit den Wandmalereien von Ostönnen und den Tafelmalereien der Soester Gnadenstuhldarstellung in Berlin (Staatliche Museen, Gemäldegalerie), die beide in den Zeitraum um 1260 datiert werden. Bei der Ornamentik finden sich in Lippstadt und Ostönnen engste Übereinstimmungen, die auf eine gemeinsame Werkstatt schließen lassen. Die Spezifika in der Darstellung der Hände in Lippstadt und der aus Soest stammenden Tafel lassen auch hier engste Verbindungen zwischen den Malern erkennen. Für die Lippstädter Wandmalereien ist daher zum einen der Entstehungszeitraum nach der Jahrhundertmitte, um 1260, höchstwahrscheinlich, zum anderen zeichnet sich eine enge Anbindung an Soest ab.
In der Kombination von bewusst eingesetzten formalen Mitteln, die je nach Figur und deren Stellung im Bild variieren, und der Darstellung einer inneren Gestimmtheit der Protagonisten, zeigt sich die Meisterschaft der Lippstädter Maler. Aufgrund der ungewöhnlichen Bildinhalte, der Variation der eingesetzten formalen Mittel und der künstlerischen Qualität der Ausführung sind diese Wandmalereien in dem imposanten romanischen Baukörper als sehr hochrangig einzustufen.

Datierung
Um 1260.