Wandmalereien

Dortmund-Brechten

Evangelische Kirche, ehem. St. Johann Baptist, Widumer Platz 1


Evangelische Kirche, ehem. St. Johann Baptist, Grundriss (durch Anklicken der roten Markierungen werden die Kartierungen geöffnet).


Baukörper
Hallenkirche von zwei Jochen mit Westturm und gerade geschlossenem Chor. Nördlich am Chor Sakristeianbau.

Baudaten
Westturm in den Untergeschossen vom Vorgängerbau der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Langhaus und Chor sowie das oberste Turmgeschoss aus den 1240er Jahren, Ostabschluss des Chores und sein Gewölbe als Ergebnis einer Planänderung fast unmittelbar nach der Errichtung, um 1250. Sakristei nach 1500.

Romanische Raumfassung
Ungewöhnlich innerhalb der romanischen Raumfassungen ist die Kombination aus steinsichtig belassenen Pfeilern mit reich dekorierten Putzflächen auf den Gewölben und Wänden, welche die gebaute Architektur maßgeblich vervollständigen. An prominenten Stellen im Raum wurde der Dekor zum Teil in reliefiertem Putz in Sgraffito-Technik ausgeführt. Wesentliche gemalte bzw. reliefierte Gestaltungsmerkmale sind die Arkatur der Langhauswände, die Scheitelringdekorationen und Ornamentbänder der Mittelschiffgewölbe, die Gewölberippen mit Zierscheiben der Seitenschiffe und die Maßwerkrose der Kirchenschiffwestwand. Die Vorbilder dieser Dekorationsformen findet man in den französischen Kathedralen der Ile de France und im Münsteraner Dom. In die Raumfassung waren auch kleine Figuren integriert, die sich in Resten erhalten haben.
Die in Anspruch und Ausfertigung das übliche Niveau überragende Raumfassung ist nur wenige Jahre vor den figürlichen Wandmalereien im Chor entstanden. 

Figürliche romanische Wandmalerei
Chorgewölbe: Weltgericht
Chorostwand: Hl. Maria als Himmelskönigin, Auferstandener Christus

Werktechnik/Maltechnik
Den Malgrund bildet eine zweilagige Kalkschlämme, die auf den zumindest noch teilweise baufeuchten Verputz aufgetragen wurde. Es folgte die rote Unterzeichnung der Figuren. Bei den nackten Seligen und Verdammten nahm man die Modellierung der Muskeln und Gesichter sowie die Abschattierung der Hände und Beine mit gelbem Ocker vor. Zuletzt wurden die Figuren mit dunklem Eisenoxidrot nochmals umrissen. Die Teufel hingegen sind mit kräftigeren Ockertönen und roten Konturen gemalt.
Das helle Inkarnat der Gesichter von Maria und Johannes wirkt heute grau, ob durch die Verschmutzung oder Vergrauung der ursprünglich rosafarbenen Gesichter, lässt sich jetzt nicht abschließend beurteilen. Die Zeichnung der Gesichtszüge ist mit dunklem Eisenoxidrot aufgetragen, wobei die Glanzlichter auf den Augäpfeln ausgespart sind. Die Gesichter wurden zudem mit zart rötlichen Schatten modelliert.
Der vermutlich blaue Mantel des Johannes erscheint heute grau. Auch das Rot des Gewandes Marias wirkt etwas vergraut.
In der Mandorla mit dem thronenden Christus sind die Malschichten sehr reduziert. Der jetzt ockerfarbene Hintergrund war vermutlich blau. Allein der ursprünglich breitere Nimbus des Weltenrichters ist durch eingetiefte Putzmodulationen und Vergoldung hervorgehoben.
Die Gewölbefläche, auf der sich das Weltgericht abspielt, ist hell und mit ursprünglich mehrfarbigen Sternen geschmückt.
Maltechnisch vergleichbar aufgebaut sind die figürlichen Darstellungen auf der Chorostwand. Auch hier war der Hintergrund zumindest der Maria blau.

Restaurierungsgeschichte
1911 Freilegung und erneute Übermalung durch den Kirchenmaler Hans Berg aus Dortmund. 1960/61 Entfernung der Übermalungen und Restaurierung durch Restaurator Günter Goege.
Die Farbigkeit und die malerischen Feinheiten der Weltgerichtsdarstellung sind durch Pigmentveränderungen und Malschichtverluste zwar reduziert, der romanische Bestand ist aber insgesamt recht aussagekräftig erhalten. Demgegenüber haben die beiden Figuren auf der Chorostwand eher fragmentarischen Charakter.
Die Wand- und Gewölbeflächen im Chor sind mehr als 50 Jahre nach der letzten Reinigung deutlich durch Staub- und Rußauflagen sowie Spinnweben verschmutzt. Auf dem bis auf einige bewegliche Putzschalen überwiegend stabilen Putz haftet die Kalkschlämme als Malgrund immer noch sehr gut. Stellenweise, vor allem in den Gewölbezwickeln, finden sich Freilegungsschäden, die vermutlich auf die Erstfreilegung 1911 zurückgehen. Ebenfalls in den Gewölbezwickeln, aber auch bei den Figuren der Chorostwand, haben die Kaseinfestigungen der Restaurierung von 1960 bis 1963 partiell zu Schäden durch abrollende Malschicht geführt. Bei den beiden Wandbildern wurde an den heute stark glänzenden Stellen auch Polyvinylacetat zur Festigung eingesetzt. Weiterhin sind im Gewölbe in größeren Bereichen, vorwiegend bei den Verdammten, vergraute Kaseinüberzüge zu beobachten. Die Retuschen stammen aus beiden Restaurierungsphasen, bei der bisher letzten wurde überwiegend mit lasierenden Grauretuschen gearbeitet, deren Bindemittel (Kasein) einen guten Nährboden für Mikroorganismen bietet.

Beschreibung und Ikonografie
Das Weltgericht kombiniert einen thronenden Christus in der Bildtradition der Majestas-Domini-Darstellungen in einer von Engeln getragenen zentralen Mandorla mit einem ringförmig darum gruppierten Weltgerichtsszenarium mit bereits verurteilten Verdammten und erlösten Seligen. Die Fürbitter Maria und Johannes d. Täufer stehen isoliert im Westen und sind mit ihren Spruchbändern und Gesten unmittelbar auf die Gläubigen im Chor bezogen, was bei Weltgerichtsdarstellungen singulär ist. Die posaunenden Engel in den Gewölbezwickeln rufen aus allen vier Himmelsrichtungen zu den Erlösten, die aus ihren Gräbern steigen, somit ist die Darstellung der Wiederkehr Christi nach Matthäus (24,31) hier exakt auf die Architektur abgestimmt.
Auch die Malereien auf der Ostwand des Chores, welche Maria als Himmelskönigin und den auferstandenen Christus unter Baldachinen mit Stifterfiguren zeigen, gehören zu diesem Ausmalungsprogramm und knüpfen an Bildtraditionen des Essener Damenstifts an, dessen Patronat die Kirche in Brechten unterstand.
Die Weltgerichtsdarstellung im Chor ist programmatisch zu verstehen und setzt mit ihrem Appell zur Buße bzw. Beichte hochaktuelle Forderungen der römisch katholischen Kirche infolge des 4. Lateranskonzils 1215 um, die 1234 zur rechtsverbindlichen Vorschrift der regelmäßigen Beichte geworden waren. Der Wunsch nach Visualisierung des mit dem Weltgericht verbundenen Themas der Buße in der Positionierung, Gestik und Inschrift des Johannes hat allem Anschein nach die geänderte Ausführung dieses liturgischen Zentrums im Osten motiviert, womit die kulturgeschichtliche Bedeutung der schon an sich hochwertigen Ausmalung nicht hoch genug einzuschätzen ist.

Kunsthistorische Einordnung
Entgegen der bisherigen Datierung um 1270 sind die Wand- und Gewölbemalereien des Chores schon früher, um oder kurz nach der Jahrhundertmitte anzusetzen. Dafür sprechen die Gemeinsamkeiten mit der gleichfalls um 1250 zu datierenden figürlichen Ausmalung in der ev. Margarethenkirche in Kamen-Methler. Diese ist in Proportion, Haltung und Gewand der Figuren nicht zu Unrecht mit den Figuren der Taufkapelle von St. Gereon in Köln verglichen worden. Deren Entstehung lässt sich aufgrund von historischen Quellen auf die wenigen Jahre von 1243-1245 eingrenzen. Besonders die in Westfalen unüblichen, über den Füßen in großen und weichen Falten sich aufstauchenden Gewänder der Fürbitter aus Brechten und der Figuren aus Methler finden sich dort in ähnlicher Art. Beziehungen nach Köln existieren also. Von den aus dem Soester Umkreis stammenden, in Ostönnen und Lippstadt vorkommenden eigenwilligen Gesichtern mit Nasenhöckern und schwarzen Konturen sind die Ausmalungen in Brechten und Methler deutlich zu scheiden. Auch die Apostelfiguren der Soester Nikolaikapelle zeigen eine andere Figurenauffassung, andere Faltenwürfe und andere Gesichtstypen. Bis auf Parallelen in der Komposition des Engelsreigens sind die Figuren im Chorgewölbe der Soester Hohnekirche ebenfalls deutlich anders. Die idealisierten Gesichtstypen der beiden Ausmalungen in Brechten und Methler mit den großen Augen und übergroßen Pupillen sind so speziell, dass sich hier die Eigenheit einer separaten Werkstatt abzeichnet. Diese könnte in Dortmund ansässig gewesen sein, wenn wir auch von ihr keine weitere Kenntnis haben.

Datierung
Um 1250. Raumfassung wenige Jahre früher.