Bochum-Stiepel
Evangelische Dorfkirche, Brockhauser Straße/Gräfin-Imma-Straße
Bochum-Stiepel, ev. Dorfkirche, Vierungsgewölbe mit figürlicher Malerei an den Schildwänden und dekorativer Gewölbemalerei. Foto: LWL/Dülberg.
Bochum-Stiepel, ev. Dorfkirche, Vierung, Ostwand, Wandmalerei, Gottvater mit Kain und Abel. Foto: LWL/Dülberg.
Bochum-Stiepel, ev. Dorfkirche, Vierung, Ostwand, Wandmalerei, Gottvater, Ausschnitt. Foto: LWL/Dülberg.
Bochum-Stiepel, ev. Dorfkirche, Vierung, südliche Scheidbogenwand, Wandmalerei, Paradiesfluss, Ausschnitt. Foto: LWL/Dülberg.
Bochum-Stiepel, ev. Dorfkirche, Nordapsis, Wandmalerei, Bethlehemitischer Kindermord, Ausschnitt. Foto: LWL/Dülberg
Bochum-Stiepel, ev. Dorfkirche, Nordquerhausostwand, Wandmalerei, Flucht nach Ägypten, Ausschnitt. Foto: LWL/Dülberg.
Bochum-Stiepel, ev. Dorfkirche, Grundriss (durch Anklicken der roten Markierungen werden die Kartierungen geöffnet).
Baukörper
Hallenkirche von zwei Jochen mit Westturm und dreiseitig polygonal geschlossenem Chor.
Baudaten
Vorgängerbau des frühen 11. Jahrhunderts. Um 1170/80 Neubau einer dreischiffigen Basilika mit Westturm, einjochigem Langhaus, Querhaus mit östlichen Seitenapsiden und Chor mit halbrundem Abschluss. 1476 Neubau von Chor und Sakristei. Um 1500 Umgestaltung zur Halle durch Erweiterung der schmalen Seitenschiffe der Basilika auf die Breite und Höhe des Querhauses.
Romanische Raumfassung
Die romanischen Bauteile Mittelschiff und Querhaus tragen eine bauzeitliche Raumfassung, die den gesamten Raumeindruck bestimmt. Zunächst fällt die reiche Dekorationsmalerei an den Gewölben ins Auge. Überwiegend rotgeäderter, gemalter Marmor an den Schildbögen, rote Lebensbaummotive und Fabeltiere in den Gewölbekappen stehen neben den Rankenbändern in Kreis-, Herz- und Wellenformen, die seitlich der Gewölbegrate im romanischen Lang- und Querhaus aufsteigen. Die Apsiden in den Querhäusern werden von gemalten Säulenstellungen mit fingierten Marmorbögen gerahmt. Blattranken mit schmalen, verschlungenen Palmetten ziehen in vielfach variierten Ausformungen in Rot und Ocker als Friese unterhalb der Fenster und in den Unterzügen der Gurtbögen entlang. Auf den Friesen fußten seitlich der Querhauswände auch noch um die Rundbogenfenster gemalte Bogenstellungen (heute leider durch die gotische Vergrößerung der Fenster weitgehend verloren). Die gemalten, an Stangen aufgehängten Wandbehänge in den Querhausarmen erscheinen, der unregelmäßigen Einpassung der Apsiden in die Ostwände folgend, mal seitlich oder eher mittig neben oder über ihnen wie spontan vor die Wand gehängt. Weitere Wandbehänge finden sich an den Schildwänden der Vierung. Die Ornamentik steht im Einklang mit der farbigen Fassung der Architekturglieder, den warmgrauen Pfeilern und Bögen mit weißen und rot aufgemalten Fugen und den in die Ecken der Mittelschiffspfeiler eingestellten Säulchen, die heute vereinfachend rot gefasst sind. Die romanische Raumfassung in Stiepel ist somit ein charakteristisches und frühes Beispiel für das sogenannte Westfälische Ausmalungssystem.
Figürliche romanische Wandmalerei
Vierung (östliches Mittelschiffsjoch), Schildwände oberhalb der Arkadenbögen: Opfer Kains und Abels mit Gottvater in der Gestalt Christi und Paradiesflüssen.
Nördliches Querhaus (jetzt Seitenschiff, Ostjoch), Nordwand: Raubkatze (Löwe oder Panther) als Christussymbol.
Ostwand des Nordquerhauses: Flucht nach Ägypten.
Nordapsis: Bethlehemitischer Kindermord. Die figürlichen Darstellungen der Kalotte, Segnender Christus und Evangelistensymbole, sind von der Übermalung um 1260. Die stehende Heiligenfigur seitlich des Fensters ist gotisch.
Ostwand des Südquerhauses: Keine figürlichen Darstellungen der Erstfassung erhalten, aber Bogenstellung und Wandbehang. Der dort sichtbare Apostel ist spätgotisch oder renaissancezeitlich.
Südapsis: In der Kalotte die segnende Gotteshand mit den sieben Strahlen, Medaillons mit Sonne und Mond, Köpfe und Hände der darunter stehenden Heiligen, zwei Erzengel in Kastenrahmen unterhalb des Fensters. Die ehemals sechs Heiligen zu beiden Seiten des Fensters von der Übermalung des 13. Jahrhunderts (um 1260).
Werktechnik/Maltechnik
Malgrund ist eine unterschiedlich dicke Kalktünche, die auf den noch baufeuchten Putz aufgetragen wurde. Vorritzungen haben sich teilweise im Putz markiert. Auch die Kalktünche war beim Auftrag der Farben noch feucht, sodass es stellenweise zur freskalen Abbindung zusammen mit dem Putz gekommen ist. Es finden sich sowohl eisenoxidrote als auch ockergelbe Vorzeichnungen, deren Verteilung innerhalb der Malereipartien im Kirchenraum keinem erkennbaren Konzept folgt. Sehr deutlich wird die Parallele zwischen dem maltechnischen Aufbau der gut erhaltenen Figuren des Bethlehemitischen Kindermordes in der Nordapsis und den Jünglingen der Paradiesflüsse der Vierung. Das Inkarnat wurde bei beiden Malereipartien als Lokalton in hellem, mit Kalkweiß ausgemischten Ocker flächig, deckend und pastos angelegt und darauf die Schatten mittels zarter Lasuren etwas dunkler ockerfarben betont. Die weißen Lichter auf den Höhungen wurden erst danach aufgesetzt. Als Letztes folgte die Zeichnung der Konturen mit Eisenoxidrot. Reste von schwarzen Konturen sind ebenfalls belegt. Weitere typische Merkmale für die Stiepeler Malereien sind die fast ausschließliche Beschränkung der verwendeten Farbpalette auf Erdfarben sowie der Verzicht auf Vergoldungen. Verwendet wurden vor allem verschiedene gelbe und rote Erden sowie mit Kalk ausgemischtes Schwarz. Auch plastische Stuckapplikationen oder eingeschnittene Putzmodulationen gab es nicht.
Restaurierungsgeschichte
Freilegung und Restaurierung 1952, bei der Raumfassung mit neuen Übermalungen. 1963-66 Nachfreilegung und erneute Restaurierung. Nochmals restauriert 1988 und 2002/03. Die in der Vierung angesiedelte Gottvaterdarstellung und zwei der dortigen Paradiesflüsse zeigen noch weite Teile ihrer ursprünglichen Malschichten. Anders verhält es sich mit den Darstellungen auf den Wandflächen im Querhaus und den dortigen Apsiden. Hier ist allein die Darstellung des Bethlehemitischen Kindermordes so gut erhalten, dass eine Analyse der gesamten Malschichten und des Malstils vorgenommen werden kann. Die malerische Szene der Flucht nach Ägypten gibt immer noch Auskunft zu Komposition und Einzelelementen, ist gleichwohl von einer starken Reduktion der Malschichten gezeichnet. Die Ausmalungen der Apsiden sind durch die partiellen Freilegungen mehrerer Übermalungen, der ersten noch aus der Zeit der ausklingenden Romanik, in ihrer Lesbarkeit stark beeinträchtigt. Ebenfalls stark dezimiert ist die Malschicht der Darstellung der Wüstenlandschaft mit zwei Raubkatzen in der großen Rundbogennische auf der Nordwand des Querhauses.
Beschreibung und Ikonografie
Vierung: Auf einem zweistufigen Podest steht Gottvater in der Gestalt Christi frontal dem Betrachter zugewandt mit geöffneten erhobenen Armen, in der Linken eine Schriftrolle, die Rechte zum Segensgruß erhoben. Er ist mit einer roten Toga bekleidet, unter der eine helle Tunika sichtbar wird. Sein Haupt wird von einem Kreuznimbus hinterfangen. In die Zwickel der Triumphbogenwand genau eingepasst, reichen Kain und Abel jeweils ihre Opfergaben zu Gott empor. Die Segenshand Gottes ist auf Abel zu seiner Rechten gerichtet, dessen Opfer, das Lamm, Gott annimmt, das Opfer von Kain, das Ährenbündel, lehnt er ab. Die größte Fläche der beiden Bogenfelder über den Scheidbögen nehmen die scheinbar an gemalten Ösen aufgehängten Wandbehänge ein. Die vier Jünglinge als Personifikationen der Paradiesflüsse sitzen mit angewinkelten Beinen an ihren unteren Seiten und lassen Wasser aus Krügen strömen, das sich in vier bis fünf Rinnsalen ergießt.
Nördliches Querhaus (jetzt Seitenschiff, Ostjoch), Nordwand: Zentral auf der Wandfläche ist eine große, sich umwendende Raubkatze im Laufschritt mit geöffnetem Maul und herausgestreckter schmaler Zunge dargestellt. Genau in der Bildmitte durchschneidet eine waagerechte vorgeritzte Horizontlinie die Darstellung in zwei Hälften: Eine untere, die in braunen Erdtönen auf eine karge, hügelige Wüstenlandschaft hinweist, deren niedrige, ockerfarbene Hügel sich vor dem schmalen dunklen Horizont abzeichnen und eine obere, schwer zu erkennende Sphäre, deren ockerfarbener, heller Ansatz noch erhalten ist. Direkt über dem Kopf der Raubkatze ist ein Weihekreuz. Vor den Vorderläufen in Laufrichtung des großen Vierbeiners befindet sich rechts unten ein deutlich kleineres Tier, das bis auf seinen Stand mit Blick gen Osten und einen längeren Hals wie ein kleineres, etwas gestauchtes Abbild des großen aussieht. Es wird sich also am ehesten um ein Junges handeln, das seinen Vater oder seine Mutter begleitet.
Ostwand des Nordquerhauses: Die Szene der Flucht nach Ägypten ist auf das Wesentliche reduziert. Links reitet Maria im Damensitz auf dem Esel mit dem Christuskind auf dem Schoß. Joseph schreitet rechts dieser Gruppe voran, hält dabei einen Stock in der Linken und den Zügel des Reittiers in der Rechten.
Nordapsis: Die Darstellung des Bethlehemitischen Kindermordes besteht aus zwei männlichen Figuren auf der linken Bildhälfte und drei Müttern, die den Verlust ihrer Kinder beklagen. Sie verkörpern dabei die verschiedenen Stadien der Trauer. Die Rechte rahmt die Szene, indem sie zusammengesunken in stiller Trauer auf den Boden starrt, die Mittlere steht mit im Melancholiegestus an die Wange gelegter Linken und kraftlos herabhängender Rechten von den Soldaten abgewandt. Allein die linke der Mütter hat sich noch nicht mit ihrem Schicksal abgefunden und hängt sich verzweifelt an den Arm des Soldaten im Bildzentrum, um ihn zur Rückgabe ihres geraubten Kindes zu bewegen. Der links neben ihm Stehende trägt die gleichen Beinlinge und Schuhe, anstelle der Rüstung hingegen eine helle, gegürtete Tunika. Er hält zwei fast unkenntliche Kleinkinder in den verschränkten Armen und schaut zu den Müttern hinüber.
Es ergibt sich folgende Gesamtdeutung für die erste malerische Ausstattung der romanischen Basilika: In der Nordapsis finden sich Szenen aus der Kindheitsgeschichte Jesu, wobei zu den erhaltenen Szenen des Bethlehemitischen Kindermords und der anschließenden Flucht nach Ägypten noch die Geburt und die Anbetung der Heiligen Drei Könige in der Apsis zu rekonstruieren sind. Als zugehörige Ausmalung in der nicht mehr vorhandenen Chorapsis ist im Hinblick auf zeitgenössische Ausmalungen im westfälischen Raum von einer Darstellung der Majestas Domini in der Apsiskalotte auszugehen. Am Triumphbogen darüber haben die Bildvergleiche eine Umdeutung der zentralen Figur zu einer Darstellung Gottvaters in der Gestalt Christi mit Kain und Abel wahrscheinlich gemacht. Die Mahnung an den Betrachter, ein gottgefälliges Leben zu führen, kann auch in dieser Darstellung impliziert sein. In der Nähe des Hauptaltars angebracht, besteht immer auch der Bezug zum Messopfer als typologische Entsprechung des Opfers der Brüder. In den seitlich davon angebrachten Paradiesflüssen kann eine Verbindung vom irdischen zum himmlischen Paradies gesehen werden, das im darüber liegenden Vierungsgewölbe sowie den anderen Gewölben mit den Lebensbaummotiven, Fabelwesen und Sternen sinnbildlich dargestellt ist. Die Darstellungen der Südapsis mit der Segenshand Gottes und der Ausgießung des Heiligen Geistes in Form von sieben Strahlen nehmen Bezug auf die Sieben Gaben des Heiligen Geistes und lassen auf eine darunter befindliche, heute verlorene, Pfingstdarstellung schließen, die eventuell mit einer Himmelfahrtsdarstellung kombiniert war. Nach dem Pfingstereignis waren die Apostel vom Heiligen Geist erfüllt und trugen das Evangelium in die Welt, womit das Wirken Christi auf die Vermittlung durch die Apostel und später die Geistlichen übergegangen war. Der Zyklus erhält damit in der Südapsis einen sinnfälligen Abschluss. Auf der Bildfläche in der Nische des Nordquerhauses ist in der Darstellung einer großen Raubkatze ein Christussymbol zu sehen, das auf die Auferstehung Christi an Ostern verweist. Bei den erhaltenen Bildszenen handelt es sich um Darstellungen, die in der westfälischen Wandmalerei einzigartig sind.
Kunsthistorische Einordnung
Die Stiepeler Figuren greifen verschiedene Einflüsse aus den Bildkünsten auf. Die malerische Behandlung der Inkarnate – mit Abschattierungen und Höhungen innerhalb der Gesichter und der nackten Körperpartien – basieren auf in der Wandmalereitradition begründeten Vorgehensweisen, die sich schon im 11. Jahrhundert in den Gewölbemalereien von Saint-Savin in Mittelfrankreich finden, die etwas abstrakter und gefestigter in der ehemaligen Grab-Kirche des Sigward von Minden in Idensen auftreten (1120-1130) und sich auch in St. Gereon in Köln fragmentarisch erhalten haben. Bei diesen drei Wandmalereien sind die Figuren jedoch ganz anders in ein farbiges Rahmensystem und damit die Architektur eingepasst. Die isolierte Stellung der Figuren auf weißem Grund im Vierungsgewölbe zeigt eher Verwandtschaften mit der Buchmalerei, hier sind einzelne Figuren wie Zeichnungen in den Handschriften Regensburger Klöster punktuell auf die Wand gesetzt. Die Malereien der Vierungsschildwände stehen gleichfalls unvermittelt vor der hellen Wand, die Figuren passen sich den architektonischen Gegebenheiten nur in ihrer Platzierung und der Körperhaltung an. Die Einzelmotive sind denen in Ostönnen sehr verwandt und es ist daher gut möglich, dass sich die Vorbilder für diese Malereien auf Musterblättern befanden, die ähnliche Zeichnungen enthielten wie sie in den Regensburger Handschriften vorliegen.
Die Ausmalungen der Apsiden und der großen Bogennische der Nordquerhausstirnwand sind anders aufgefasst. Die Bogennische zeigt eine farbige Hintergrundlandschaft, vor der sich die helle Raubkatze wie im Negativ abhebt. Das Zeichenhafte der Darstellung steht demnach, nur in umgekehrter Anwendung, vor erdfarbenem Grund. Die einzigen erhaltenen szenischen Darstellungen in der Nordapsis und der Wand daneben stehen als Fries auf einem dreistreifigen Boden, gleichwohl auf hellem Grund. Diese mehrstreifigen Böden finden sich auch in Saint-Savin, dort jedoch mit hellen und farbigen Bildhintergründen darüber.
Die in Stiepel verwendeten Stilelemente, die Figuren- und Gesichtstypen sind mit zahlreichen Vergleichsbeispielen fest im Malereibestand der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts verankert. Einen guten Bezugsrahmen für die Datierung der Stiepeler Malereien bieten die bauzeitlichen Wandmalereien der Westwand von Soest-Ostönnen mit den Darstellungen des Kain und Abel. Die enge Verwandtschaft zu diesen sicher datierten Wandmalereien festigt die über den Stilvergleich gewonnene Datierung der Stiepeler Ausmalung um 1170/80 zusätzlich.
Datierung
Um 1170/80 und um 1260 (romanische Übermalung).