Wandmalereien

Paderborn-Neuenbeken

Katholische Kirche St. Maria, Roncalliplatz 2


Paderborn-Neuenbeken, kath. Kirche St. Maria, Grundriss (durch Anklicken der roten Markierungen werden die Kartierungen geöffnet).


Baukörper
Die in Form eines gleichschenkligen Kreuzes angelegte Kirche mit gerade geschlossenem Chor, ausladendem Querschiff und einjochigem Mittelschiff wird im Inneren durch das geöffnete Turmjoch in Mittelschiffbreite zu einem lateinischen Kreuz verlängert.

Baudaten
Anfang 13. Jahrhundert. Datierung der einmal nach Osten erweiterten Sakristei unbekannt. Moderner Anbau nördlich an die Sakristei. 

Romanische Raumfassung
Vor den weißen Wand- und Gewölbeflächen bilden die grün-grau gefassten Pfeiler und Schildbögen die Rahmen für die filigranen Rankenfriese in Grau und Rot mit ockerfarbenen und roten Begleitbändern, die den Raum wie ein schmückendes Netz überziehen und seine plastischen Elemente betonen. Auf Kämpferhöhe umziehen Rankenfriese die Wandflächen, die unterhalb der ehemals kleineren Fensteröffnungen verliefen. An den Ostwänden von Querschiff und Chor sind noch die gemalten Flankensäulen erhalten, die wahrscheinlich im gesamten Raum die Fenster zierten. Zum Querschiff sind die breiten weißen Flächen an den Unterzügen der Gurtbögen in der Mitte mit Friesstreifen aus aufsteigenden grauen Herzranken geschmückt, die Gurtbögen im Mittelschiff und derjenige zum Chor hin sind von zarten Wellenranken geziert.
Anders als im „Westfälischen Ausmalungssystem“ üblich, werden die Grate in Neuenbeken nicht durch begleitende Bänder ausgespart, sondern genau auf dem Grat betont. Wellenranken in Vierung und Südquerschiff und Herzranken im Wechsel mit Ranken im Nordquerschiff verlaufen auf dem Gratscheitel und werden seitlich durch farbige Begleitstreifen verstärkt. Alle Schildbögen sind auf ihren Stirnen in Fortsetzung der Pfeilerfassungen mit grünen Quadern bemalt, deren weiße Fugen ursprünglich ausgespart waren und die zugrundeliegende weiße Tünche zeigten.
Die Querschiffgewölbe haben seit der Freilegung der Raumfassung 1964 ihren Schmuck mit großen Lebensbaummotiven in den Gewölbekappen wiedererhalten.

Figürliche romanische Wandmalerei
Nordquerschiff, Ostwand, oben: Einzelfigur eines Propheten; unten: Muttergottes Maria als Rest einer Kreuzigung.
Nordquerschiff, Westwand: Abendmahl, darunter Malereirest: Teufel mit Kuhhaut.
Südquerschiff, Westwand: Kreuzabnahme.

Werktechnik/Maltechnik
Kalkfreskomalerei auf verdichtetem einlagigem Putz. Auf den noch feuchten Putz wurden eine Kalkschlämme und nachfolgend ein bis zwei weiße Kalktüncheschichten aufgetragen. Die Vorritzungen und die Vorzeichnung erfolgten in die frische Kalktünche. Die Schattenpartien der Gesichter und Gliedmaßen sowie alle ockerfarbenen Gewandteile wurden zunächst mit gelbem Ocker flächig angelegt. Danach wurden eisenoxidrote Gewandpartien, die Umrisse der Körper sowie feine Binnenzeichnungen der Nase, Mund und Augen mit Eisenoxidrot sehr gekonnt und flott umrissen. Als Letztes folgten die schwarzen Konturen, die Zeichnung der Pupillen sowie die Ausarbeitung der Zehen.
Sicher gab es an manchen Stellen zunächst eine zarte ockerfarbene oder rote Vorzeichnung, um die Lage der ockerfarbenen Schattierungen festzulegen. Diese ist jedoch kaum zu erkennen.
Die schwarzen Konturen, Binnenzeichnungen und Binnenfarben sind, da sie zuletzt aufgetragen wurden und schlechter in der Kalktünche abgebunden haben, heute nicht mehr vollständig erhalten. Die weißen Lichter ergeben sich durch Aussparung der hellen Kalktünche. Dies ist das hervorstechendste Merkmal der Maltechnik in Neuenbeken und gilt übrigens auch für die Ornamentbänder, was auf die gleichzeitige Entstehung von Raumfassung und figürlicher Malerei hindeutet.
Die Farbpalette beschränkt sich hauptsächlich auf Erdfarben wie Eisenoxidrot, gelber Ocker, Grüne Erde und Rebschwarz. Vergoldungen oder plastische Applikationen, beispielsweise an den Nimben, kommen nicht vor.

Restaurierungsgeschichte
Freilegung und Restaurierung der Raumfassung 1964. Erneute Restaurierungen 1984 und 2010.
Die figürlichen Wandmalereien 1864/65 erstmals und 1922 nochmals freigelegt und historisierend übermalt. 1964 erneut freigelegt und ohne farbliche Ergänzungen zurückhaltend restauriert, nochmals 1984 und 2010.
Die Bildhintergründe im Querschiff waren durchgehend weiß. Die Malerei lag daher wie ein farbiges Aquarell auf der weißen Kalktünche. Daher ist das Erscheinungsbild der Malerei zwar durch Verluste in den nicht so gut abgebundenen Seccopartien reduziert, aber nicht so stark verändert wie bei denjenigen romanischen Malereien, die ursprünglich kostbare, stark farbige Hintergründe in Blau und Grün zeigten und wo heute bestenfalls noch die graue Untermalung der Bildhintergründe zu sehen ist, wie z. B. in der Nikolaikapelle in Soest.
Die Figur des Propheten auf der Ostwand des Nordquerschiffs weist dunkelbraune Reste von Konturen aus dem 19. Jahrhundert auf, die stellenweise über den originalen, schwarzen Konturen liegen. Sie folgen jedoch der originalen Linienführung.
Die Ostkappe des Chorgewölbes zeigt heute eine Nachschöpfung der Majestas Domini aus dem Jahre 2009 in neoromanischem Stil, angebracht über den abgedeckten ursprünglichen Fragmenten.

Beschreibung und Ikonografie
Von den ursprünglich anzunehmenden 14 Einzelfiguren seitlich der Fenster (sechs im Chor, vier im Querschiff, vier im Langhaus) ist allein der Prophet auf der Ostwand des Nordquerschiffs noch sichtbar. Er steht mit leicht angestelltem rechtem Bein frontal dem Betrachter zugewandt und weist mit ausgebreiteten Armen sein Schriftband vor. Er hält es mit der Linken, es zieht quer über den Oberkörper des Heiligen bis unter seine Rechte, die er im Weisegestus erhoben hat. Möglicherweise deutet sie auf ein Bildgeschehen in der nicht erhaltenen Glasmalerei zu seiner Rechten, wahrscheinlicher soll sie auf die auf dem Schriftband ausgebreitete Botschaft hinweisen, die ehemals dort zu entziffern war.

Von der Marienfigur weiter unten auf der Ostwand sind nur noch der Kopf, ein Teil des Oberkörpers sowie ein Gewandstück erhalten. Maria legt die linke Hand im Melancholiegestus an ihre Wange. Diese Handhaltung, gekoppelt mit dem in Trauer erhobenen Blick nach rechts oben, fußt auf einer langen Bildtradition bei Kreuzigungsdarstellungen. Daher ist zu vermuten, dass die Figur zu einer nicht erhaltenen Kreuzigung gehört hat. 

Das Abendmahl auf der Westwand des Nordquerschiffs zeigt Christus und die Jünger an einem langen Tisch. Christus sitzt in der Bildmitte und schaut auf den Betrachter herab. Seinen Lieblingsjünger Johannes, der sehr viel kleiner und fast kindlich dargestellt ist, hat er auf den Schoß genommen. Johannes wendet sich nachdenklich nach links und stützt seinen Kopf auf dem Arm ab. Die anderen elf Apostel sind mit gestikulierenden Händen ins Gespräch vertieft; jeweils in zwei Zweiergruppen an den Tischenden und die übrigen drei als Gruppe um Christus zu ihm hingewandt. Durch den Akt der Brotspende an Judas, die Christus über den Tisch hinweg vornimmt, ohne auf ihn zu schauen, erweitert sich die mittlere Gruppe nach unten hin zum 13. Apostel, da dort vor dem Tisch der Christusverräter in gebeugter Haltung steht und das Brot mit angewinkeltem Kopf mit geöffneten Lippen empfängt. Die Rechte streckt er dabei aus, als wolle er danken, die Linke umgreift vor den Blicken der anderen verborgen einen nicht mehr kenntlichen Gegenstand, vielleicht einen Fisch.

In dem Fragment der Bildszene unterhalb des Abendmahls sind zwei Teufel und drei Frauen zu erkennen. Die Frauen knien am unteren Bildrand und sind mit hellen fußlangen Gewändern und haubenartigen Kopfbedeckungen mit Gebenden züchtig bekleidet. Hinter und gleichsam über ihnen sind zwei Teufel damit beschäftigt, einen Stoff bzw. eine Kuhhaut auseinanderzuziehen, wobei der linke die Zipfel der Haut ausspannt, der obere über die Haut heruntergebeugt auf ihr hantiert. Wahrscheinlich schreibt er, was heute nicht mehr zu erkennen ist. Bei den Frauen wird es sich wahrscheinlich um solche handeln, die in der Kirche schwatzen und hinter deren Rücken die Teufel diese Sünde auf der Kuhhaut notieren. Der Darstellungsinhalt wird als Warnung vor einem langen Sündenregister im Jüngsten Gericht zu deuten sein.

Als Pendant zur Abendmahldarstellung findet sich auf der Westwand des Südquerschiffs eine Darstellung der Kreuzabnahme Christi. Auch hier sind die Figuren auf den getünchten Putzgrund gesetzt und stehen ohne weitere Rahmung auf der hellen Fläche des Bogenfeldes. Wahrscheinlich um die Fläche besser zu füllen, ist die Komposition mit den üblichen zur Kreuzabnahme gehörenden Figuren noch um die beiden Schächer der Kreuzigung erweitert worden. Seit dem 10. Jahrhundert sind Maria und Johannes bei der Kreuzabnahme stets mit dargestellt, wenn sie auch in den Evangelien nicht erwähnt werden. In allen vier Schriften wird hingegen Joseph von Arimatäa als gerechter Mann genannt (siehe Mt 27). Nur im Johannesevangelium ist als Gehilfe zusätzlich Nikodemus aufgeführt (Jo 19,39). Die Situation, in der Joseph von Arimatäa Christus vom Kreuz nimmt, ist in Neuenbeken besonders eindringlich wiedergegeben. Zum Zeichen seiner Ehrerbietung verhüllt er seine Hand mit dem Leintuch, das er sich um die Schulter gelegt hat. Wie bei den Aposteln des Abendmahls, greifen seine Finger lebendig in den Tuchstoff und stabilisieren so die Hüfte des Gottessohnes. Die andere Hand hatte seinen Körper weiter unten gehalten, wo heute eine große Fehlstelle ist. Einzigartig ist die Verschmelzung von Christus und Joseph: Der Leichnam ist der schon vom Kreuz gelösten Linken folgend mit der Achsel auf den Kopf des Helfers herabgesunken und bildet mit den Haaren des Joseph eine gemeinsame, gebogene Konturlinie.

Kunsthistorische Einordnung
Übereinstimmende Stilmerkmale aller figürlichen Darstellungen sind: Aussparung des Putzgrundes bei den Säumen, Herausmodellierung von Gelenken, Betonung von Volumina, Lebendigkeit in der Handhaltung, Variation in Haartracht und Händen. Beim Abendmahl ist das Hineingreifen in den Gewandstoff wie auch das Umspielen von Gliedmaßen, Füßen und Händen mit Stoff besonders charakteristisch, bei der Kreuzabnahme die Gestaltung der Haarpartie in der Stirn, die sehr variiert bis hin zu zotteligen Strähnen bei dem schlechtem Schächer reicht. Die sich aufwerfenden Säume (Saumrüschen) wie auch die Schmuckborten mit gemaltem Edelsteinbesatz an den Strümpfen des Propheten finden sich bei den szenischen Darstellungen des Querschiffs wieder, ebenso wie die Schmuckborte am Gewand des linken Apostels des Abendmahls und die Gewandrüschen der nebenstehenden Figuren mit schlichteren Gewändern bei den Figuren der Kreuzabnahme.
Im überlieferten Bestand romanischer Wandmalereien in Westfalen sind die Themen der figürlichen Szenen einmalig, die Qualität ihrer Ausführung ragt weit über die übliche Ausstattung einer Dorfkirche hinaus. Die Ausführung von Malerei und Ornamentik auf ausgesparter Tünche, die auf den noch feuchten Putzgrund gelegt ist, lassen auf eine Entstehung der gesamten Raumausmalung im direkten Anschluss an die Bauausführung schließen. Die schlichten Bauformen mit den nur im Querschiff verwendeten Spitzbögen werden an den Anfang des 13. Jahrhunderts datiert. Neu entdeckte Parallelen zu verschiedenen hochrangigen Buchmalereien aus diesem Zeitraum treten zu den maltechnischen Befunden und unterstützen eine bauzeitliche Datierung der Wandmalereien, die bisher in einem zeitlichen Abstand von etwa 30 Jahren zur Bauentstehung angesetzt wurden. In der Einheit von Raumfassung, figürlicher Malerei und Baukörper und der besonderen Qualität der szenischen Darstellungen liegt  die große Bedeutung dieses Denkmals.
Mit der zeitlichen Einordnung ist gleichzeitig die Frage nach der Schulung der in Neuenbeken tätigen Wandmaler zu stellen. Am Anfang des 13. Jahrhundert ist mit dem Auftreten von nicht einem Orden angehörenden Malern zu rechnen, die an verschiedenen Orten und Skriptorien tätig waren und dort Kenntnisse und sicher auch Vorlagen sammelten, wie die Buchmalereiforschung seit einigen Jahren annimmt. Die Mischung verschiedener Charakteristika, die in Neuenbeken wirkungsvoll eingesetzt werden, lässt auch hier auf solche weltlichen Maler schließen, die an Buchmalereien unterschiedlicher Zentren im thüringisch-sächsischen und niedersächsischen Raum geschult waren und etwas unterschiedliche Handschriften zeigen. Hiermit ist ein erster Schritt in der Erforschung und Einordnung der Neuenbekener Wandmalereien in das Umfeld der zahlreichen zeitgenössischen Buchmalereien gewagt, dem noch weitere folgen sollten.

Datierung
Um 1210 (gleichzeitig mit der bauzeitlichen Raumfassung).